Vernunftkraft? Nein danke!

Energiewende auch in Biebertal ? (Grafik: Grüne Bundesverband)

Bei der Informationsveranstaltung der Bürgerinitiative „Königsberger Gegenwind“ am 20. März referierten Bernhard Klug und Dr. Detlef Ahlborn von der bundesweit tätigen Initiative „Vernunftkraft“.

Tenor der Vorträge: Der Versuch, die Energiewende zu schaffen, ist eine sinnlose Verschwendung von Ressourcen und Windkraftanlagen führen zum Verfall der Immobilienpreise und zum Rückgang des Tourismus.

Wir haben einige Aussagen der Referenten hinterfragt und damit ganz im Sinne von Herrn Klug gehandelt: „Bleiben Sie kritisch!“

Der Anteil des deutschlandweiten Energiebedarfs, der durch Erneuerbare Energien gedeckt wird, liegt bei nur 1,2%, die Ausbaubemühungen sind daher sinnlos.

Der in den Raum gestellte Wert von 1,2% beschreibt nicht den Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung, sondern deren Anteil am Gesamtenergieverbrauch. Das beinhaltet unter anderem die Bereiche Strom, Wärme und Verkehr.

Bei dieser Darstellung kommt aber zu kurz, dass die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Quellen insbesondere beim Heizen (Wärmepumpen, Wärmenetze) und beim Verkehr (Elektromobilität) eine wichtige Rolle spielen wird. Das gilt auch hinsichtlich der Speicherung des „nicht grundlastfähigen“ Stroms aus Wind und Sonne.

Alleine mit Wind- und Sonnenstrom ist die Energiewende natürlich nicht zu schaffen. Deren Ausbau muss zum Beispiel einhergehen mit einer Förderung des öffentlichen Verkehrs und des Radverkehrs, mit der Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene und mit einem Ausbau von Wärmenetzen. Und: Energieeinsparung muss attraktiver werden, besonders für die Industrie.

Zur Energiewende gehört eine Vielzahl von Maßnahmen, im Grunde auch ein Wandel unseres Konsumverhaltens.

Strom aus Sonnen- und Windenergie ist nicht speicherbar.

Bislang seien keine ausreichend leistungsfähigen Akkus entwickelt worden und Pumpspeicherkraftwerke müssten gigantisch groß sein, führte Herr Dr. Ahlborn aus. Das Verfahren „Power-to-gas“ bezeichnete er als Energievernichtung.

Bei diesem Verfahren wird mit Hilfe von überschüssigem Strom aus Wind oder Sonne mit Elektrolyse Wasserstoff hergestellt. Dieser kann gespeichert, zu einem kleinen Prozentsatz direkt ins Erdgasnetz eingespeist oder mittels Methanisierung in Methan umgewandelt werden. Das kann ebenso gespeichert oder zu 100% in das Erdgasnetz eingespeist werden. In Gaskraftwerken wird mit diesem Methan wieder Strom erzeugt, wenn der Strom aus Sonne und Wind fehlt.

Die von Herrn Dr. Ahlborn benannte „Energievernichtung“ besteht darin, dass hierbei durch Umwandlungsverluste nach seinen Angaben am Ende nur etwa 30% des zuvor erzeugten Stroms wieder zur Verfügung gestellt werden können. Er verschweigt dabei, dass die erzeugten Gase ebenfalls einen Nutzen haben: Entweder über das Erdgasnetz direkt beim Heizen oder bei der Stromerzeugung als Abwärme, die in Wärmenetze eingespeist werden kann.

Die Mainova in Frankfurt hat übrigens erst kürzlich ein 8 MW-„Power-to-heat“-Kraftwerk in Betrieb genommen (www.mainova.de/unternehmen/presse/18158.html). Dieses „kommt zum Einsatz, wenn ein Energieüberangebot im Stromnetz herrscht und kurzfristig zusätzliche Verbraucher benötigt werden“. Um die gleiche Menge Energie mit fossilen Brennstoffen zu erzeugen müssten laut Mainova rund 800 Liter Heizöl pro Stunde verfeuert werden.

Man sieht: Strom aus erneuerbaren Energien kann auf unterschiedliche Weise zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes beitragen.

Dass mit Hilfe intelligenter Stromnetze („smart grids“) der Verbrauch und viele kleine Speicher gesteuert werden können, wurde im Vortrag übrigens gar nicht erst erwähnt.

Der Anteil Deutschlands an den globalen CO2-Emissionen ist so lächerlich gering, dass unsere Anstrengungen sinnlos sind.

Hier bleibt eigentlich nur die fassungslose Frage: Wenn nicht einmal ein reiches Land wie Deutschland versucht, den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern, wie soll die Menschheit den Klimawandel dann überhaupt in den Griff bekommen? Darauf hoffen, dass sich irgendetwas ergibt?

Durch den Ausbau der Windkraft kommt es nicht zu einer „Glättung“ bei der Stromerzeugung.

Für diese These wurde vorausgesetzt, dass der Wind in Deutschland immer überall gleich stark weht. Eine gleichmäßige Verteilung von Windkraftanlagen führe also nicht zu einem Ausgleich von Erzeugungsspitzen und -tälern.

Vereinfacht gesagt: Entweder wird in ganz Deutschland wegen Flaute kein Windstrom erzeugt oder umgekehrt so viel Strom auf einmal, dass dieser nicht verbraucht werden kann. Letzteres mag für ein Sturmtief über Europa stimmen, die Grundaussage ist aber für den Normalfall absurd, wie eigentlich jeder selber beobachten kann.

Eine 3 MW-Windkraftanlage lässt sich durch das Moped von Onkel Heinrich oder einen Rasenmäher ersetzen.

Zugegeben: So hat Herr Dr. Ahlborn das nicht gesagt. Aber genau diesen Eindruck wollte er mit der Gegenüberstellung eines Windrades mit einem Motorradmotor erwecken. Zitat:“ Der passt sogar in Ihr Klo!“

Herr Dr. Ahlborn legte dar, dass eine 3-MW-Windkraftanlage bei schwachem Wind an etwa 100 Tagen im Jahr nur eine Leistung hat, die der eines 160 PS-Motors entspricht. Unabhängig davon, ob das stimmt, interessiert uns die Frage, wie lächerlich wenig 160 PS wirklich sind.

160 PS entsprechen etwa 120 kW. Wenn eine Windkraftanlage an den genannten 100 Tagen permanent mit einer Leistung von 120 kW arbeitet, erzeugt sie 288.000 kWh Strom. Das entspricht bezogen auf das Jahr 2013 dem durchschnittlichen Jahresverbrauch von etwa 51 3-und-mehr-Personen-Haushalten (Quelle: Statistisches Bundesamt). Außerdem kann mit 120 kW immerhin noch der Spitzenbedarf von etwa 20 Haushalten gleicher Größe abgedeckt werden.

Wie muss jetzt aber der Motor beschaffen sein, der ein einziges dieser Windräder ersetzen könnte?

Hendryk Gaidies, unser Mitglied im Ausschuss für Bauen, Umwelt, Verkehr und Energie der Biebertaler Gemeindevertretung, hat bei Herrn Dr. Ahlborn nachgefragt und freundlicherweise ein paar Hinweise erhalten. Man müsse „Wandlungsverluste von 5% von der mechanischen Leistung (Motor) in elektrische Leistung (Generator)“ berücksichtigen. Also wäre ein 125 kW-Motor fast ausreichend. Herr Dr. Ahlborn wies auf Aggregate der Fa. Kohler (http://www.kohlerpower.com) hin. Wir haben einen Dieselgenerator ausgewählt und nicht schlecht gestaunt:

Das Aggregat ist in Länge, Breite und Höhe etwa 3,50 x 1,20 x 2,30 Meter groß und wiegt 3,5 Tonnen. Der Verbrauch bei Volllast von 32,5 Litern Diesel pro Stunde ist auch nicht zu verachten. Über einen Zeitraum von 100 Tagen wären das immerhin 78.000 Liter Diesel.

Zu Hause auf dem Klo wird das wohl schwierig.

Um auf diese Weise acht Windkraftanlagen (im Helfholz) zu ersetzen, müsste man also 624.000 Liter Diesel in 100 Tagen verbrennen. In 100 windschwachen Tagen, wohlgemerkt.

Mit unserem „Motorradmotor“ gibt es aber noch weitere Probleme:

Der Motor muss gekühlt werden und was macht man mit der ganzen Wärme? Denn der von Herrn Dr. Ahlborn genannte hohe Wirkungsgrad von über 90% lässt sich nur durch Verwertung der Abwärme erreichen.

Auf den Hinweis, dass Dieselaggregate oder fest installierte Dieselkraftwerke nicht besonders langlebig sind (1 bis 2 Jahre bis zur Motor-Überholung) und selbst bei hoher Auslastung einen schlechteren Wirkungsgrad (ca. 30%) als Kohlekraftwerke besitzen (http://de.wikipedia.org/wiki/Inselanlage) hat Herr Dr. Ahlborn leider nicht mehr reagiert.

Fehlplanung Windpark Kalteiche

Am Beispiel des Windparks Kalteiche bei Haiger wollte Herr Dr. Ahlborn belegen, dass sich solche Parks nicht rechnen. Einem prognostizierten Ertrag von 7 Mio. kWh pro Jahr stünde ein tatsächlicher Ertrag von 4 Mio. kWh gegenüber, der Park müsse also mittelfristig vor dem wirtschaftlichen Aus stehen.

Unsere Nachfrage bei der Energiegenossenschaft Haiger ergab, dass diese Darstellung nicht stimmt. Der Ertrag sei wegen mehrerer windschwacher Jahre in Folge zwar tatsächlich geringer als erhofft, liege aber auf jeden Fall über der Prognose, die Grundlage für die Finanzierung war.

Die Zahlen, die Herr Dr. Ahlborn präsentierte, waren mit dem Hinweis „energymap.info“ versehen. Doch der Anschein einer Quellenangabe trügt: In der umfangreichen Datensammlung des um Transparenz bemühten Portals sind bislang keine Daten des Windparks Kalteiche enthalten! Dafür findet man einen wichtigen Hinweis:

„Wie wir bereits im Abschnitt über die gesetzlichen Grundlagen der EEG-Meldepflicht dargelegt haben, besteht der ausdrückliche Wunsch des Gesetzgebers nach einem Anlagenregister schon seit vielen Jahren.
Bis heute (Stand November 2014) wurde es jedoch faktisch nicht umgesetzt. Immerhin wurde im Rahmen der EEG Novelle 2014 eine ‚Anlagenregisterverordnung‘ formuliert und die Bundesnetzagentur mit der Umsetzung beauftragt. Faktisch gab es bisher jedoch noch keine öffentliche Ausschreibung zu diesem ‚500.000 EUR Projekt‘. Real sichtbar sind bei der BNetzA nur ein paar händische gestrickte Excel-Tabellen. Dem Wunsch des Gesetzgebers nach Transparenz ist damit noch lange nicht genüge getan.“

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Windkraftanlagen führen beim Tourismus zu einem Rückgang der Übernachtungszahlen

Herr Klug präsentierte Übernachtungszahlen der Stadt Ulrichstein im Vogelsberg, die innerhalb von 20 Jahren von etwa 100.000 auf aktuell 8530 pro Jahr zurückgegangen sein sollen. Ursache hierfür seien die Windkraftanlagen.

Bei diesem scheinbaren Zusammenhang werden wesentliche Faktoren außer Acht gelassen. Anscheinend sind Herrn Klug die größer werdenden strukturellen Probleme im Vogelsberg nicht bekannt.

Fundierter ist die Touristenbefragung, die unter der Leitung von Prof. Dr. Christian Diller vom Institut für Geographie der Gießener Universität durchgeführt wurde (www.uni-giessen.de/cms/fbz/fb07/fachgebiete/geographie/institut/presse/2014/pm_2014_12_04): „Gäste, die im Vogelsberg Erholung suchen, fühlen sich durch Windenergieanlagen offenbar weniger gestört als befürchtet. Entsprechende Sorgen von Gastgeberinnen und Gastgebern sind daher unbegründet.“

Windkraftanlagen führen zum Wertverlust von Immobilien

Laut Herrn Klug verlieren Immobilien rund um Windkraftanlagen deutlich an Wert und werden sogar unverkäuflich, so dass massive Leerstände in den Ortslagen zu befürchten sind.

In der Zeitschrift „Immobilienbrief“ legt Prof. Dr. Günter Vornholz, Professor für Immobilienökonomie an der EBZ Business School in Bochum im Mai 2014 dar: „Während es kurzfristig durch den Bau von Windkraftanlagen zu Verzögerungen beim Verkauf von Immobilien und zu geringfügigen Preiszugeständnissen kommen kann, sind langfristig keine großen Wertminderungen bei Wohnimmobilien zu erwarten. Der Wert und die Preisentwicklung der Immobilien wird von ökonomischen und demografischen Einflüssen dominiert und nicht durch Windkraftanlagen in einigen hundert Metern Entfernung.“

Herr Klug erwähnt die Studie von Prof. Dr. Vornholz zwar, bezeichnet diese allerdings als Unsinn – ohne näher darauf einzugehen.

Infraschall

Gegen Ende der Veranstaltung kam noch kurz das Thema Infraschall zur Sprache. Man beschränkte sich aber nur auf den Hinweis, dass seitens Vernunftkraft der Entwurf des Faktenpapiers zum hessischen Expertenhearing „Infraschall“ (www.energieland.hessen.de/Expertenhearing_Infraschall) schlichtweg nicht anerkannt wird. Ende der Diskussion!

In der abschließenden Fragerunde erkundigte sich Hendryk Gaidies bei Herrn Dr. Ahlborn, welche Alternativen dieser denn zum Ausbau der Erneuerbaren Energien vorschlage? Die Antwort des Referenten lautete: Die Erhöhung der Effizienz. Herr Klug ergänzte, dass außerdem die Forschung verstärkt werden müsse.

Das soll also die Kraft der Vernunft sein? Dann lohnt es sich wirklich, kritisch zu bleiben!

Wir wollen nicht unterschlagen, dass bei den Vorträgen auch berechtigte Kritik vorgebracht wurde. Zum Beispiel am CO2-Zertifikatehandel in seiner aktuellen Form oder am indirekt durch die erneuerbaren Energien mit verursachten Anstieg des CO2-Ausstoßes in Deutschland.

Beides ist aber die Folge davon, dass die Energiewirtschaft die Umstellung des Kraftwerksparks und des Stromnetzes nur halbherzig betreibt und der Gesetzgeber noch einige Regelungslücken zu stopfen hat.

Die Erhöhung der Effizienz auf der Erzeuger- und Verbraucherseite ist auf jeden Fall ein wichtiger Bestandteil der Energiewende. Wir fragen uns aber, ob den beiden Herren bekannt ist, dass die fossilen Energieträger (und selbst Uran) endlich sind?

Oder herrscht hier das „Prinzip Hoffnung“: Irgendjemand wird es irgendwann und irgendwo schon für uns lösen?

Dann sollte man aber wenigstens nicht jeden als Scharlatan oder Idioten beschimpfen, der sich wissenschaftlich mit der Erzeugung und Speicherung von Strom aus erneuerbaren Quellen beschäftigt.

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